Seit Tagen geistert mir dieser Satz im Kopf herum. Auch deshalb, weil er mir irgendwie immer mal wieder zu Ohren kommt. Verletzte Menschen, verletzen Menschen. Ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass das stimmt. Nicht nur im familiären Kontext, in welchem Verletzungen oftmals über Generationen hinweg weitergegeben werden, sondern natürlich auch im Konstrukt der Beziehung zwischen Mann und Frau, Freunden, unter Kollegen etc. Bricht man es herunter kommt man dahin sagen zu müssen, dass jeder der verletzt wurde und diese Wunden nicht heilt, andere genau deshalb immer wieder und unaufhörlich weiterverletzen wird. Außer man steigt aus. Man vergibt. Dem Verletzenden und am Ende sich selbst.
Ich bin an dem Punkt in meinem Leben angekommen, an welchem ich all denjenigen, dich mich wie auch immer verletzt haben verzeihen möchte. Ich dachte lange, ich hätte dies bereits vor Jahren getan. Dennoch bemerke ich, insbesondere in Phasen, in denen ich hadere und struggle, dass sich Gedanken anschleichen wie:“ Hätte sie sich (meine Mutter) doch einfach mal Hilfe geholt, wäre ich von all dem, was sie bei mir abgeladen hat an Wut, Aggression und Abwertung verschont geblieben und müsste mich nicht permanent damit beschäftigen mich selbst zu reparieren.“ In derartigen Gedanken steckt ganz klar ein unterschwelliger Vorwurf. Dabei weiß ich ganz genau, dass hinter all diesen Verhaltenweisen ein Mensch steckt, der so hilflos und verloren und auch verletzt ist, wie man es sich kaum vorstellen kann. All das ist mir bewusst, seit einem guten Jahrzehnt ganz bestimmt. Jeder Mensch wurde auf die eine oder andere Weise von Menschen verletzt und ja, auch jeder Mensch verletzt andere. Ich denke aber, dass die meisten sich ihrer Verletzungen am anderen gar nicht bewusst sind, da diese weder sich genug selbst reflektieren, viele es vermutlich nicht einmal bemerken. Meine Mutter beispielsweise hängt derart in ihrem Film fest, dass sie blind um sich schlägt. Dabei ist am Ende des Tages im Grunde scheissegal wer es abbekommt. Der Erstbeste in der Nähe, was heute mein Vater ist, bekommt sein Fett weg.
Ausstieg
Ich bin vor Jahren aus der Rolle des verletzten Kindes ausgestiegen. Nicht nur weil ich mich räumlich und emotional entfernt habe, sondern auch in dem ich aktiv reflektiere und mich weiterentwickele. Dennoch ist die Angst davor, dass ich aufgrund von übertragenen Verhaltensmustern andere ebenfalls einmal derart verletzten könnte so übermächtig, dass ich bewusst aufs Kinderkriegen verzichte. Ja, es sogar dazu geführt hat, eben gar keinen Wunsch zuzulassen. Ich weigere mich all das, in welcher Form auch immer, weiterzugeben. Allein dieses Vermeidungsverhalten zeigt mir, dass ich vielleicht im Kopf kein verletztes Kind mehr bin, im Herzen aber nach wie vor. So stellt sich mir die Frage: Ist die Erteilung einer Absolution, demjenigen der verletzt hat, final und für immer und ewig zu vergeben überhaupt möglich? Ich bin mir dessen nicht so sicher. Auch wenn ich mir im Gegensatz dazu absolut sicher bin, dass verzeihen einen befreit. Und ehrlicherweilse wünsche ich mir nichts mehr als diese Befreiung selbst zu erleben.
Was ich heute ganz klar kann ist: Die Grenze zu ziehen und mich nicht mehr verletzten zu lassen. Das kann ich bei Männern ziemlich gut. Wer mich verletzt, der ist mich los. Ende der Geschichte. Denn für die Konstellation von „hurt people hurt people“ gehören immer Zwei. Einer, der verletzt und ein anderer, der sich verletzten lässt. Die meisten Beziehungen sind ohnehin keine echte Liebe auf Augenhöhe, sondern oftmals ein Konstrukt aus Abhängigkeiten zweier Individuen, die sich gegenseitig aus Verlustangst aneinanderklammern. Der Mensch ist bestrebt durch einen anderen seinen Mangel aufzufüllen. Dafür nimmt er in Kauf verletzt zu werden und zu ertragen was das Zeug hält, nur um nicht alleine zu sein. Über Jahrzehnte, im Falle meiner Eltern unter Garantie bis zum bitteren Ende. Sad story. True story.
Vergebungsprozess
Ich bin wirklich gewillt endlich zu vergeben. Die Motive des Menschen, der einen verletzt hat zu verstehen hilft hierbei zwar weiter aber so richtig frei davon bin ich um ehrlich zu sein noch immer nicht. Was also tun? Wenn ich länger darüber nachdenke, so glaube ich, dass auch Vergebung ein längerer Prozess ist. Es ist definitiv nicht genug einmal zu sagen, okay, ich mache jetzt mit all dem meinen Frieden. Das ist zwar der erste wichtige Schritt, aber damit ist es defnitiv nicht getan. Also bei mir reicht das nicht. Da ich aber auf keinen Fall aufrund von nicht verheilten Wunden in einer derartigen Abhängigkeitsbeziehung landen möchte, nur um das gleiche zu wiederholen was mir vorgelebt wurde, mache ich immer weiter. Ich fühle immer wieder rein wenn Vorwurfsgefühle oder auch Verletzungen hochkommen und mache mir klar, dass das ein für alle mal vorbei ist. Dass es anders geht und, dass es auch für mich möglich ist! Geduld mit sich selbst aufzubringen ist für mich an der Stelle fast die größte Herausforderung. Denn der Kopf hat das schon so lange kapiert, heideblitz. Aber die Seele braucht Zeit um hinterherzukommen. Da kann ich mich auf den Kopf stellen und mit den Ohren wackeln, es dauert dennoch so lange wie es eben dauert. Betrachtet man all das von einer spirituellen Ebene, könnte man sich auch sagen, dass sich die Seele eben genau dieses Leben inklusive aller Erfahrungen ausgesucht hat um Vergebung zu lernen. Mmhh. Ich würde das wirklich gerne glauben aber in den Momenten, in welchen diese alten Gefühle hochkommen, braucht man mir mit sowas nicht ankommen. Da bin ich einfach nur unfassbar traurig, manchmal auch sehr wütend. Aber das ist okay. Weil es menschlich ist.
Wahre Vergebung, ist sagen zu können: „Danke für die Erfahrung.“
Oprah winfrey
Stell dir deine Mutter (oder die Person, die dich verletzt hat) als kleines Kind vor, wie sie noch unschuldig versucht hat, die Welt zu begreifen. Irgendwo auf diesem Weg hat jemand etwas in ihr verändert, so dass die unschuldige Seele getroffen wurde und mit den Jahren immer neue Verletzungen hinzu gekommen sind. Schau noch mal auf das unschuldige Kind: es ist doch traurig, dass man es diesem Kind angetan hat. Du weißt ja, wie sich es anfühlt und deswegen weißt du auch, dass Jeder der verletzt einmal ein unschuldiges Kind war, welches es nicht verdient hatte, verletzt zu werden. Dieses Mitleid kann bei der Vergebung helfen. Es entschuldigt nicht ihr Verhalten, sie hat es eben nicht geschafft, diesen Kreis zu durchbrechen – vielleicht schaffst du es. Ich wünsche dir viel Kraft dafür.
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Liebe Susann, vielen Dank für dein Feeback und den guten Tipp! Schönen Tag und liebe Grüße
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