Vor wenigen Tagen habe ich einer sehr guten alten Freundin, die in der Schweiz lebt geschrieben:“Juhu, ich fliege Ende März nach Bali! Wanna join?“ Ihre Antwort war:“Nein, ich mache dieses Jahr eine Zugreise irgendwo in Europa wegen CO2 und so.“ Ok, denke ich für mich, mach das, ich freu mich auf Bali. Grund genug aber, mich diesem Thema auch mal schriftlich etwas ausführlicher zu widmen. Vor allem wenn ich bedenke, dass wir uns (also meine Freundin und ich) deswegen fast noch in die Haare bekommen hätten.
„Wir waren ja schließlich Generation Sorglos und jetzt muss sich was ändern“, sagt meine Freundin. Sie versuche im Alltag was zu verändern, im Umgang mit Ressourcen oder beim Reisen. Muss ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben weil ich nach Bali fliege? Hab ich nicht ehrlich gesagt. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Ich freu mich riesig! Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass auch ich mittlerweile stets meinen Jutebeutel beim Einkaufen mit mir herumtrage und den Stand-By-Schalter auf Aus knipse. Woher kommt dieser Sinneswandel, der langsam aber sicher nicht nur beim Endverbraucher ankommt sondern auch in den Unternehmen? Steckt dahinter ein echter Umschwung oder beugen sich vielen einfach nur der medialen Macht, wo doch jeder weiß, dass die Massenmedien und deren Berichterstattung maßgeblich für unsere Meinungsbildung verantwortlich sind? Und ist am Ende des Tages bereits am Konsumverbrauch etwas zu spüren? Weil gut reden können wir ja alle, wenn es um persönlichen Verzicht geht, schaut das oftmals ganz anders aus. Vor allem habe ich das Gefühl, dass sich das Thema „Klimaschutz“ zu einer Art Statussymbol für gut gebildetete Akademiker und deren Nachkömmlinge mausert. Weil es plötzlich hip ist vegan zu essen, nachhaltige Mode zu kaufen und auf Bioprodukte umzuswitchen. Dass das alles im Durchschnitt weitaus mehr kostet als „normale“ Discounterprodukte weiß auch ich wenn ich regionales Gemüse, Fleisch und Eier kaufe. Jemand, der jeden Cent seines monatlichen Gehalts umdrehen muss, ist davon schon einmal kategorisch ausgeschlossen.
Der Greta-Effekt
Butter bei de Fische: Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten weiß jeder halbwegs informierte Bürger, dass die Gletscher in der Antarktiks schmelzen und die globale Erderwärmung voranschreitet – zum großen Teil menschengemacht durch Plastikmüll, CO-2-Ausstoß etc. pp. Die Politik, die Berichterstattung, der Otto-Normal-Verbraucher – keiner hat sich wirklich Gedanken darum gemacht welche Konsequenzen unser Konsumverhalten, das auf mehr, schneller und billiger ausgerichtet war für die Welt bedeutet, in der wir leben. Fast Fashion, Online-Shopping, 24h-Lieferdienste und Massentierhaltung zur Befriedigung eines 60kg-Fleischverzehrs pro Kopf und Jahr in Deutschland waren die Antworten von Industrie und Wirtschaft auf unsere Bedürfnisse. Dass hierfür Schweine mit Antibiotika vollgepumpt um schnellstmöglich schlachtreif zu sein, Arbeiter/innen in Ländern wie Indien, Pakistan oder Bangladesch zu unmenschlichen Bedingungen tagein tagaus schuften und die jährlich verschickten 1,5 Mrd Pakete, von denen 280 Mio auch schön wieder retourniert werden hat der Verdrängungsmechanismus von uns allen erfolgreich ausgeblendet. Kaum zu glauben eigentlich, wenn man sich die Fakten hier mal so hintereinander weg vor Augen führt.
Nun benötigt es also ein in 2018 15-Jähriges Mädchen namens Greta Thunberg, das sich in aller Konsequenz jeden Freitag in Stockholm vor ihre Schule setzt, um für das Klima zu streiken, damit ein neues Bewusstsein das Licht der Welt erblicken konnte?! Nachdem heute in 2020 die Fridays for Future Demos zu einer globalen Bewegung herangewachsen sind, Greta den alternativen Nobelpreis erhalten bzw. zur ikonischen Gallionsfigur beim Kampf gegen die globale Erwärmung emporgestiegen ist und die Politik dem öffentlichen und medialen Druck zumindest „augenscheinlich“ nachgibt indem Sie das Thema in den Fokus der politischen Agenda rückt, frage ich mich: Wo fängt echter Klimaschutz an und wo renne ich einem medial geschaffenen Trend hinterher? Ab welchem Moment wollen wir einfach mal wieder nur „dazugehören“ weil plötzlich alle posaunen wie sie artig Zug fahren, und sich beschweren wo wir denn da hinkommen wenn jeder Erdenbürger die Welt bereisen möchte. Ja, wo kommen wir denn dahin? Selbst Instagram ist dabei sich anzupassen und die lieben Influencer nennen sich jetzt Sinnfluencer, setzen sich für einen nachhaltigen Lifestyle ein und posten Öko-Gerichte. Die Lebensmittel hierfür stammen vom Bauernhof, die Körner für die Frühstücksbowl vom Bioladen. Da auf Eier, weil vegan ganz verzichtet wird, führen von nun an sogar die Hühner ein stressfreies Leben. (Sarkasmus Ende)
Was am Ende des Tages wirklich zählt
Halten wir uns mal an die harten Fakten. Ich zitiere hier 7 an der Zahl, von National Geographic anschaulich auf den Punkt gebracht:
- Die Welt wird wärmer.
- Wir sind schuld daran.
- 9 von 10 Wissenschaftlern sind sich sicher.
- Das Eis schmilzt rapide.
- Das Wetter wird zerstörerischer.
- Tiere und Pflanzen werden beeinträchtigt.
- Wir können etwas dagegen tun.
Das sind die Fakten jetzt mal extrem heruntergebrochen. Für Details sind die Wissenschaftler zuständig. Wichtig ist aber für mich an der Stelle Punkt 7: Wer ist wir und was tun genau?
Ich bin bei solch dramatischen Thesen und Aussagen immer sehr skeptisch. Zu gut erinnere ich mich an die Ozonloch-Panik Mitte der 80er und 90er Jahre und dessen angeblicher Schuld vom rasant ansteigenden Hautkrebs. Nichts desto trotz haben sich 197 Staaten auf ein globales Klimaschutzabkommen geeinigt und das bereits 2015 in Paris. Das primäre Ziel lautet: „Die Erderwärmung soll im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf „deutlich unter“ zwei Grad Celsius begrenzt werden mit Anstrengungen für eine Beschränkung auf 1,5 Grad Celsius.“ Dieses Abkommen untermauert auch meine Zweifel, dass die Klimaerwärmung uns alle angeht aber dass der Rahmen hierfür ganz oben und zentral gesteckt werden muss. Denn jeder einzelne von uns kann zwar auf Plastiktüten, Flugreisen, Verpackungen und alles mögliche reduzieren oder gar gänzlich verzichten. Das alles wird das Ziel von den weniger als 2 Grad nicht wesentlich näher herbeizaubern. Um das zu schaffen muss die ganze und ich meine wirklich die ganze Welt auf eine CO2-freie Energieversorgung umgestellt werden. Diese Nettotreibhausgasneutralität muss bis bereits 2050 erreicht werden um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und Kipp-Punkte im Erdsystem zu verhindern. Bääm!
Halten wir zusammenfassend also fest, dass wir dankbar sein sollten, dass es eine Greta und ihre Bürgerbewegung geschafft hat, den Druck auf die Politik noch einmal zu verstärken. Denn ohne weitreichende und vor allem effiziente Konsequenzen wird das Ziel nicht zu schaffen sein. Hierfür sind Regularien und Gesetze notwendig, die ein kapitalistisches und auf Profit ausgerichtetes System verändert.
Sekundär ist also ob nun hauptsächlich Akademikerkinder anfangen Bioklamotten zu tragen und Öko zu essen oder sich an Streiks beteiligen (was aus Gründen von Vielfalt und Integration nicht unbedingt Sinn und Zweck der Sache sein kann aber ok). Und auch wenn ich jedes Jahr einmal auf meinen Flug in den Urlaub verzichte, dafür aber im Jutebeutel einkaufen gehe, wird dies bei einem derart komplexen globalen Problem nicht das Zünglein an der Waage ausmachen. Nichts desto trotz hilft ein neu geborenes und sich ausweitetendes „Klimabewusstsein“ sicher unterstützend mit um langsam und nachhaltig etwas zu bewegen. Was aber in diesem Zusammenhang genau das Hauptproblem ist: Denn langsame Veränderung bringt den Gletschern keine Rettung. Auch am aktuellen Beispiel des Flugaufkommens ist trotz Europa-Urlaubspläne vieler keine Entlastung zu erkennen. Erst kürzlich vermelden deutsche Flughäfen für das Jahr 2019 neue Passagierrekorde: Allein am Flughafen München stieg das Passagieraufkommen 2019 um 1,7 Millionen auf 47,9 Millionen und erreichte damit zum zehnten Mal in Folge einen neuen Höchstwert. Nur ein Beispiel warum wirklich SCHNELL nur ein Gesetz einen drastischen Rückgang an der Stelle bewirken könnte.
Ich muss diesen Artikel also mit folgendem Fazit beenden: Von einem „prima Klima“ sind wir alle leider noch ziemlich weit entfernt.
https://www.jetzt.de/umwelt/fridays-for-future-wie-elitaer-ist-die-klimabewegung
https://www.zeit.de/campus/2019-08/armin-nassehi-soziologie-jugend-generationen-interview