Bewusste Kinderlosigkeit ist okay!

Den Gedanken eher keine Kinder zu bekommen hatte ich das erste mal mit 20 Jahren. Klingt früh, ich weiß und hatte sicher auch mit meiner eigenen Prägung zu tun. Ernst genommen hat das zum damaligen Zeitpunkt ohnehin niemand weil „mit 20 weiß man noch nicht wirklich was man im Leben will“. Ich habe es damals geglaubt und dachte:“Mal sehen, vielleicht ändert sich das noch im Laufe der Jahre.“ Hat es nicht. Bis heute und ich bin mittlerweile 38 Jahre alt.
Ich widme diesen Text deshalb allen Frauen da draußen, denen es ähnlich ergeht und plädiere an all die anderen: Kapiert endlich, dass es Frauen gibt, die einfach keinen Kinderwunsch in sich tragen. Es gibt ja auch genügend freiwillig kinderlose Männer.

Tick, tack, tick, tack

Die meisten Frauen in meinem Umfeld hörten das erste Mal mit um die 30 plötzlich ihre innere Uhr ticken. Manche just in dem Moment als sie noch mit Tröte in der Hand ihren 30. Ehrentag begingen. Bei mir passierte mit 30 folgendes: Nichts. Dennoch dachte ich nach wie vor: „Immer mit der Ruhe, das kommt schon noch. Ich habe ja auch erst spät meine Tage bekommen und überhaupt bin ich eben einfach ein hormoneller Spätzünder“. Dass ich mit meinem damaligen Freund bestimmt 1,5 Jahre unverhütet Sex hatte verstehe ich bis heute nicht. Vermutlich dachte ich wenn es passiert, soll es halt so sein. Ich weiß heute, dass ich zeitweise auch gefangen war in der Vorstellung doch einen konventionellen Weg einschlagen zu müssen. Einem Weg, der mit 30+ ohne Umschweife in einer festen Partnerschaft mit dem erklärten Ziel der Eheschließung und zeitnah darauf folgender Kinderproduktion endet. Mit 34 ist die Beziehung zerbrochen und ich bin Gott heute, ob es ihn nun gibt oder nicht, unendlich dankbar, dass ich vor einer Schwangerschaft verschont wurde. Ich bin sicher, dass mein Körper einfach auf einen Geist reagiert hat, der schlicht und ergreifend nicht bereit war ein Kind in die Welt zu setzen. Nicht an einem einzigen Morgen bin ich bis zum heutigen Tage aufgewacht und dachte: „Ach wie schön wäre es, wenn ich jetzt ein Baby hätte, um das ich mich 24h lang kümmern kann und das mich bedingungslos liebt. Mama sein ist sicher der erfüllendste und schönste Job der Welt!“ Im Gegenteil: Die Vorstellung, dass ein Mensch von mir abhängig ist um überhaupt die ersten Jahre zu überleben erzeugt in mir gar keine guten Gefühle. Auch die Aufgabe meines selbstbestimmten Daseins damit ich 18 Jahre und noch länger die Verantwortung für das Gedeihen meines Kindes übernehmen kann, erzeugt in mir eher Fluchtgedanken und Gänsehaut. Und zwar eine, die es mir eiskalt den Rücken hinunterjagt.

Selbstverständlich habe ich das Thema immer mal wieder für mich hinterfragt und überlegt ob es einfach daran liegt, dass ich nie DEN Partner an meiner Seite hatte, mit dem ich mir das wirklich vorstellen konnte. Eine zeitlang war ich sogar davon überzeugt, dass dieser eine jemand diesen Wunsch bestimmt auslösen würde. Aber dann beobachtete ich all meine Freundinnen und davon war ein Großteil sicherlich nicht in einer Beziehung als innerlich die Uhr sehr laut und deutlich zu ticken anfing: Tick, tack, tick, tack…Ruckzuck ging es dann meist so aus, dass der Nächste der kam irgendwie der Richtige war (?) und mit dem dann relativ zeitnah ein Kind in die Welt gesetzt wurde. Muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Scheidungsrate wird das nicht positiv beeinflussen, soviel ist klar.

Gesellschaftliche Akzeptanz JETZT!

Ich finde es von gestern, dass sich Frauen heutzutage überhaupt noch im Ansatz dafür rechtfertigen müssen oder mit einem komischen Seitenblick bedacht werden, wenn sie sich offen zu einer bewussten Kinderlosigkeit bekennen. Auch meine Eltern, die sehr konservativ geprägt sind haben bis zuletzt gehofft, dass ich meine Meinung noch ändere. Was hat mir meine Mutter von jedem einzelnen Neugeborenen im Dorf, im entfernten Bekanntenkreis und von weiß der Geier wer noch alles Babys bekommen hat, vorgeschwärmt. Ich habe nicht nur einmal entnervt das Telefon einfach aufgelegt weil sie in ihrer Begeisterung einfach ausgeblendet hat, dass ich ihr schon vor Jahren sagte: „Mama, Kinder bekommen ist nicht mein Thema.“ Akezptiert hat sie es garantiert bis heute nicht in letzter Konsequenz. Ich musste mir dazwischen auch anhören, dass ich ja meine Eizellen einfrieren könnte, falls der passende Mann dafür halt erst mit 40 oder später kommt. Hallo? Mit 40 ist Schicht im Schacht. Wenn ich mit Ende 30 noch immer keinen Kinderwunsch habe, dann wird er ja wohl nicht mit 40 plötzlich um die Ecke rennen! Sie hat keinen Vorschlag und kein Argument ausgelassen, wirklich nicht. Hat es in mir drinnen etwas verändert? Nicht die Bohne. Und bitte: Es ist ja nicht so, dass ich Kinder nicht mag. Im Gegenteil: Sie sind ganz wunderbar! So lange es nicht meine eigenen sind und sie nach ein paar Stunden wieder gehen.

Es gibt auch so einige Frauen unter uns Frauen, die erste eine und dann die andere Augenbraue hochziehen, wenn man seinen Wunsch kein Kind zu bekommen äußert. Nicht selten sind das jene, die mit 30 verlobt, mit 31 verheiratet, mit 32 das erste Kind namens Leo und mit 34 das zweite namens Carla auf dieser wunderschönen Erde empfangen durften. In deren Universum existiert ein Leben ohne Muttersein nicht. Alles andere ist abnormal bzw. abseits der Norm und ebenso außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Denn Kinder sind ja das größte Geschenk auf Erden. Ist das denn wirklich so? Ich wage es zu bezweifeln. Es gibt so viel anderes im Leben, das einen erfüllen kann. Von den Müttern, die nur deshalb Kinder bekommen um ihre eigene innere Leere zu füllen will ich gar nicht erst anfangen. Von der Sorte gibt es sicher auch mehr als genug. Deshalb ist es nun endlich an der Zeit sich mal auf folgende Fakten zu besinnen:

Wir leben in einer Welt voller Diversität. Sei es die ausgelebte Sexualität, die sich in den unterschiedlichsten Formen leben lässt. Sei es in der Gestaltung von Beziehungen. Sei es unser beruflicher Werdegang, unsere Wohnsituation, unsere Lebensgestaltung als solche. Die Möglichkeiten sind mannigfaltig. So mannigfaltig wie jeder einzelne Mensch und seine individuellen Bedürfnisse. Muss also Glück bedeuten sich unbedingt reproduzieren zu müssen? Nein. Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigene Weise herauszufinden was Glück für ihn bedeutet: Ob mit Kinder oder ohne. Mit Hund, Katze oder Maus. Im Reihenhaus oder auf der Südseeinsel als digitaler Nomade. Oder einfach, dass er das Glück ganz allein in sich selbst trägt.

Lasst doch alle einfach sein. So sein wie sie sind und für das Leben, das sie für sich persönlich wählen. Ohne Bewertung. Einfach so. Das nennt nennt man Toleranz. Und natürlich weil es verdammt nochmal niemandes Recht ist zu urteilen warum ich mich eben genau so entscheide!

4 Kommentare zu „Bewusste Kinderlosigkeit ist okay!

  1. Sooooo ein toller, ehrlicher, komplexer Text! Ich war sehr berührt vom Lesen und hoffe, dass deine Zeilen ganz vielen Frauen Mut machen, offen zu ihrem nicht vorhandenen Kinderwunsch zu stehen. Jeder soll für sich entscheiden dürfen, was für ihn das Richtige ist – ohne dafür gleich bewertet zu werden. ❤

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  2. Kann ich aus männliocher Sicht fast eins zu eins so bestätigen, also du könntest da quasi von mir reden. Der Unterschied ist nur der, dass ich mir sicher bin, dass man sich als Frau öfter blöde Sprüche anhören „darf“ als als Mann. Wobei ich auch glaube, dass die echte Skepsis auch von Frauen kommt, weniger von Männern (für die kinderlose Frauen und solche ohne Kinderwunsch ja zumeist „einfacher“ sind). Der Spruch den man als kinderloser Mann dauernd hört – aber eben auch nur von Frauen – ist der, dass ich ja mit 60 immer noch Papa werden kann. Und dann immer: „hihihi“ dahinter. Als wenn irgendein Kerl diese Aussicht besonders toll findet, wenn man 30 oder 40 ist, ist die Aussicht mit 60 Vater zu werden schrecklichst. Kenne auch keinen, der das irgednwie als von der Natur verabreichten Luxus, als Körperprivileg betrachtet. Und so sagen den Spruch sinnigerweise nur Frauen, die gleichzeitig am lautesten tönen, dass sie das auch total ätzend finden, wenn alte Männer meinen sich noch fortpflanzen zu müssen. Und letztlich sidn es ja auch Frauen, die alten Kerlen später Vaterschaft ermöglichen. Nunja, wie man es dreht und wendet: Psychologie ist und bleibt verdreht;-) Viele Grüße!

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    1. Hallo David, ich glaube, dass der (Selbst-)Wert unzähliger Frauen auch heute noch maßgeblich daran gekoppelt ist Mutter zu sein. Für eben diese Frauen scheint es innerhalb ihres Universums unvorstellbar, dass sich Menschen, ob Mann oder Frau, bewusst für ein alternatives Lebensmodell entscheiden und dennoch ein zufriedenes Leben führen! Vielen Dank für deine männliche Perspektive und klar, Psychologie ist verdreht und wohl genau deshalb so interessant ;-). Viele Grüße zurück und schöne Weihnachtsfeiertage!

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