Seit Tagen hänge ich emotional in der Vergangenheit fest. Das ist deshalb so mies weil es mich lähmt und erschöpft. Ich meine so richtig erschöpft. Ich liege da wie eine Sardine in der Öldose – zusammengequetscht ohne den kleinsten Spielraum für Bewegung. Game over. Das Öl klebt dabei an einem, wie das Pech an der Pechmarie. Man erstickt darunter fast. Ekelhaft. Warum? Mein Trauma ist in der Gegenwart – meine Mutter hat Krebs. Bösartigen. Und in mir beschwört ihr Geschwür Gefühle hervor, die ich längst hinter mir gelassen glaubte.
Ich habe eine gesunde Distanz zu meinem Elternhaus. Das heißt: Minimaler Kontakt, ich bestimme wann und wie ich mich melde und ich melde mich eben nicht, wenn ich mich nicht danach fühle. Das klappt soweit ganz gut. Ist auch notwendig, wenn ich meinen Seelenfrieden einigermaßen wahren möchte. Nun passiert folgendes: Innerhalb von nicht einmal einer Woche zwischen der Diagnose bis zur OP ist nicht klar, wie lange die Lebenszeit deiner Mutter noch währt. Kawumm! Der Krebs ist böse, wie böse kann erst nach der kompletten Entfernung mit Gewissheit festgestellt werden. Die Endlichkeit des Lebens, insbsondere das deiner Mutter, schlägt dir mit einer weit ausholenden Faust in die Fresse. Im ersten Moment ist der Schock so groß, dass man es überhaupt nicht recht kapiert. Man denkt sich nur: Das wird schon wieder. Echte Gefühle kommen da erstmal nicht. Nur Ratlosigkeit und die Tatsache, dass man innerhalb von einer Sekunde wieder zum stabilisierenden Kind wird. Man ist da, hört zu, tröstet sowohl Vater als auch Mutter und redet sich selbst ein: Das wird schon wieder! Ganze sieben Tage hat das wunderbar funktioniert. Bis es knallt. Innerlich. Und man auf der Fresse liegt und sich nicht mehr rührt. Weil das Trauma einen mit solch einer Wucht einholt, dass eben einfach nichts mehr geht. Die Sardine lässt grüßen.
An Tag 3 meines Sardinendaseins ein erstes Aufbäumen: Ich kann es aufschreiben. Es fließt aus mir heraus. So war das schon immer, tragischerweise. Es fließt im emotionalen Leid eben besonders gut. Eigentlich am besten. Ich weiß ganz genau, dass die besten Songs, die berührendesten Gedichte, die besten Bücher aus den größten inneren Qualen heraus entstanden sind. Es ist wahrlich so: Im Glück gibts irgendwie nichts was so großen Druck erzeugt, dass es durch irgendeinen Kanal rausfließen muss. So ist das mit der Kunst. In ihr liegt wahre Tragik. Dabei ist sie wunderschön. Also beim Durchlesen, anhören oder betrachten danach. Dann ist das Schlimmste längst überstanden und durchlebt.
Nun stecke ich gerade aber mal wieder mittendrin in der Misere und weiß weder ein noch aus. Dieser Konflikt zwischen Verpflichtung und Selbstfürsorge macht einen fertig. Obwohl die Seele ganz laut schreit: Du kannst nicht helfen. Schütze dich selbst und zieh dich zurück, klappt das leider nur semi-gut. Denn am Ende des Tages flüstert die Endlichkeit in dein Ohr: Wer weiß wie lange es noch geht. Tja, wer weiß das schon. Niemand. Und eigentlich auch scheiße wenn zwei leiden, oder? Aber im anderen Ohr flüstert dein Gewissen: Das ist deine Mutter verdammt nochmal – egal was war.
Noch kenne ich die Antwort nicht wie diese Situation zu handeln ist. Aber der erste Druck ist jetzt endlich raus. Dem Text sei Dank! Und so laufe, meditiere, schlafe und denke nach bis der Arzt kommt und hoffentlich bald eine Erkenntnis, die mir sagt: Das ist der Weg! Aber bis dahin strample ich zwischen all den anderen Sardinen, von oben bis unten voller Öl, in der Hoffnung, dass ich den Sprung heraus aus der Konservendose schaffe, um mich endlich innerlich wieder frei und wie ich selbst zu fühlen.
Gute Nacht an alle, die sich hin und wieder auch wie eine Sardine fühlen.
Super ausgedrückt – wenn auch zum Erbrechen traurig. Liebe Grüße aus der Dose! ❤
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