Morgens 4.30 Uhr in Deutschland: Der Osterhasen-Trigger hat zugeschlagen.

Vor Aufregung kann ich nicht mehr schlafen. 40 Jahre und über 20 Jahre nach den ersten Symptomen ist sie da: Die richtige Diagnose oder „The great relief“ namens kPTBS – komplexe posttraumatische Belastungsstörung. Gibt es erst seit diesem Jahr als offizielle Diagnose und ich musste so lange darauf warten. Es ist ein Gefühl von: Endlich eine Erklärung dafür, warum ich so bin, wie ich bin.

Man könnte meinen es ist vollkommen irrelevant wie nun der bunte Strauß an Symptomen wie depressive Erschöpfung, nervliche Überreizung, das permanente Gefühl überlastet zu sein, sich kaum bis gar nicht abgrenzen zu können (unter anderen…) nun am Ende für welche Diagnose stehen, denn wichtig ist nur, dass sie besser werden, in den Griff zu bekommen sind. Aber das ist nicht wahr. Man sucht sein Leben lang nach Erklärungen, sieht auch irgendwann die Zusammenhänge und doch hängt man eben permanent in der Luft. Weil man sich immer irgendwie anders fühlt – nicht normal. Klar, was ist schon normal und gibt es das überhaupt? Dennoch macht es innerlich einen Riesenunterschied. Weil man ohne Diagnose oder der falschen immer wieder in Selbstzweifel rutscht. Warum bin ich nicht so belastbar wie andere? Wiso kann ich dies oder das nicht? Man fühlt sehr oft charakterschwach oder einfach unzulänglich.

Was bedeutet es an kPTBS zu leiden?

Es bedeutet, dass Trigger an jeder Ecke lauern können, die einen quasi aus dem Nichts emotional in die Vergangenheit katapultieren. Es bedeutet auch, dass alte Gefühle so präsent und real sein können, als wären just in diesem Augenblick existenziell schlimme Dinge passiert. Auslöser sind so vielfältig wie unvorhersehbar: Der scheinbar völlig unbedeutsame Halbsatz einer Kollegin, zu viel Workload über zu lange Zeit, Verhaltensweisen von Partner:innen, bei manchen auch Gerüche oder andere Sinneseindrücke. Das schwierige ist, dass man nicht wie nach einen Autounfall beispielsweise ein spezifisches Trauma zu vearbeiten hat, sondern eine kPTBS entwickeln kann, wenn man als Kind dauerhaft und immer wieder traumatische Situationen durchlebt oder das ganze Elternhaus ein einziges Traumahaus ist. Weil Eltern besipielsweise permanent über die eigenen Grenzen agieren, grundlose Wutausbrüche über einem ausschütten oder einen für die eigenen Stabilisierung missbrauchen. So ist auch im Grunde jeder einzelne Kontakt oder Besuch in diesem alten Umfeld re-traumatisierend für das gesamte System.

Aktuellstes Beispiel: Ostern.

Alles scheint oberflächlich okay: Tausend Ostergeschenke für die Kinder meines Freundes, zig Geburtstagsgeschenke für mich, noch mehr gebackene Osterlämmer, Kekse und Co. und doch liege ich zwei Tage später flach. Alles, wirklich alles zu Hause erinnert mein System an die Zeiten des „Hilflos ausgeliefert-Seins“ permanenter Grenzüberschreitung. Das kickt emotional so heftig rein, dass sich mein Körper danach offenbar selbst herunterfährt und in den eigenen Schutzmodus manövriert. Die Folge: Ich schlafe den halben Tag, fühle mich von mir selbst getrennt und komme kaum in die Gänge. Das einzige was nach der großen Erschöpfung hilft sind Spaziergänge, Berge und Sport um den Körper wieder zu aktivieren. Man könnte sagen: Besuche halt deine Eltern nicht mehr, Problem gelöst. Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn am Ende des Tages ist und bleibt man immer das Kind seiner Eltern und den harten Cut durchzuziehen ist nicht die Lösung. Für mich zumindest nicht. Aber ja, ich nehme für einen Besuch in der Heimat all diese Symptome in Kauf und hoffe, dass ich diese seltenen Heimatfahrten irgendwann unbeschadeter überstehe. Ob das jemals möglich sein wird? Ich weiß es nicht.

Nichtsdestotrotz hat der Biskuit-Osterhase lecker geschmeckt und sich bis nächstes Jahr verabschiedet. Derweil rapple ich mich auf, lasse mich beim Sport vom Drillinstructor wachrütteln bis die Muskeln brennen und habe auch diesen Ostertrigger einmal mehr überlebt. Es geht vorbei! Das ist das einzige, was sicher ist!

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