20 Jahre war New York für mich der Sehnsuchtsort schlechthin. Das in einer Stadt verkörperte Gefühl von Selbstbestimmung, Inspiration und Freiheit. Zwar war ich mehrmals in den Staaten, aber New York lag bisher nie auf meiner Route, obwohl ich immer nur dorthin wollte. Insbesondere ins Museum of Modern Art. Das Ding ist: Woher dieser Traum stammt wusste ich bislang nicht. Ich wollte einfach immer nur dorthin. Ist all dies nur Projektion, oder fühlt es sich nun so an wie ich es mir so oft in meinen kühnsten Träumen vorgestellt habe? Jetzt weiss ich es, denn ich war da. Endlich.
Als ich die Skyline Manhattens zum ersten Mal erblicke, im Taxi vom Flughafen zum Hotel, stellt es sich augenblicklich ein: Diese Mischung aus unbegrenzter Aufregung und gleichzeitgem Ausatmen vor Erleichtung – ich habe es geschafft! Schnell den Koffer im Hotel abgeladen und raus ins Gewimmel. Ich sauge jede Sekunde inmitten unzähliger Passanten auf, die an mir vorbeihetzen, schlendern, mich fast über den Haufen rennen oder einfach nur verblüfft in den Himmel starren. Aber sie alle haben eine Sache gemeinsam, das merke ich spätestens nach der 5. Fußgängerampel: Sie alle laufen bei Rot drüber. Ich hingegen lächle verklärt, während sich die Freudentränen in meinen Augen sammeln und mein Herz Walzer und Tango gleichzeitig tanzt. Bei der 10. schließe ich mich an und laufe mit. Nur nichts verpassen, es muss schnell gehen, in der Stadt, die angeblich niemals schläft. Das Energielevel ist hoch das merke ich , aber ich lasse mich mitreißen im Strudel meines aktuellen positiven Emotionsrauschs. Es ist Montanachmittag, der 08. Mai 2023 als ich mein Urvertrauen nach 30 Jahren das erste Mal wieder bewusst spüre, just in diesem Augenblick.
Drei Tage unter New Yorks Himmel
Am ersten vollen Tag nehme ich mir die Klassiker vor: Empire State Building und ahhhhh Trommelwirbel: Das Moma. Ich laufe über gefühlt 154 rote Ampeln und beobachte inbesondere zur Mittagszeit ein hervorstechendes Hobby vieler NewYorker*innen: Salad Bowls durch die Gegend zu tragen. Ich verbringe viel Zeit bei Pret à Manger und Wholefoods und staune angesichts der Auswahl an bunten Köstlichkeiten. Zum Glück habe ich noch ein paar Tage um zwischendurch immer wieder einen Abstecher dorthin einzulegen.
Nach gefühlten 20 Kilometern quer durch Manhatten geht es an Tag 2 durch die Hudson Yards, den Highline Park, hoch aufs The Edge und auf eine Bootsrundfahrt zu allen Highlights, die man sich so vorstellen kann. Danach sitze ich zurfrieden kaunend, mit einem Öko-Schokoriegel für zu viele Dollars, im Bryant Park. Das Wetter ist wolkenlos wie aus dem Bilderbuch und der Park natürlich voller Menschen. Die meisten kauen wie ich, andere liegen rum, lesen oder quatschen. Mein Gefühl inmitten all jener: Zufrieden und glücklich. Man fühlt sich hier nicht fremd, ich fühle mich hier nicht fremd, obwohl man einer oder eine unter Millionen ist. Ich kann es nicht beschreiben. Kulinarisch gibt NYC sein Bestes, insbesondere wenn man Neues ausprobieren möchte, was es in Deutschland nicht gibt. Das heutige Highlight: Tibetian Mamma Bowl und selbstgemachte Limonade. Allein die Location: Wundervoll! Das Essen: Zum niederknien! Nun sitze ich hier, schreibe, beobachte die Menschen und liebe es so sehr.
Am nächten Tag geht mein Fußmarsch durch NewYorks Straßen in eine neue Runde: Vom Hotel laufe ich eine knappe Stunde bis vor die Tore des Central Parks. Hier steige ich aufs Bike und radle mit einer geführten Gruppen einmal quer hindurch. Vorbei an den teuersten Hochhäusern New Yorks, die direkt am Park liegen und wo unter anderen Lady Gaga, Sting, Robert de Niro oder Liam Gallagher wohnen. Im Dakota Building lebte einst auch John Lennon, der übrigens 1980 direkt dort vor seiner Haustüre tragischerweise erschossen wurde. Deshalb geht es nun mit dem Bike auch direkt vorbei an einem Imagine-Denkmal zu seinen Ehren. Daneben spielt ein Musiker auf seiner Akustikgitarre den Song Imagine so berührend, dasss sich Menschentrauben um ihn herum versammeln und ich mal wieder vor Freude fast weine. Der Park ist wirklich wunderschön und ich würde am liebsten auf einer Decke liegen und stundenlang in den kristallblauen Himmel schauen. Aber ich will weiter und noch mehr entdecken. Und so geht es vorbei am MET und ab ins Guggenheim Museum. Dorthin gehe ich nun wieder zu Fuß und mache noch ein paar weitere Meilen für diesen Tag. Nach gut zehn Stunden auf den Beinen und 26 Grad sommerlichen Temperaturen, gönne ich mir zum Abschluss den wohl teuersten Aperol Sprizz meines Lebens für sage und schreibe 21,78 Dollar. Das kommt davon, wenn man einfach bestellt und nicht erst einmal einen Blick in die Karte wirft. Was solls, es ist bereits der letzte Abend und ich sage mir, sparen kann ich wenn ich tot bin. Außerdem geht es am nächsten Tag schon wieder zurück in die Realität.
New Yorks andere Seite
Diese Stadt, die mich so beindruckt und auf nie da gewesene Weise berührt, hat aber auch eine dunkle Seite. Eine die, wenn man genau hinschaut, nicht übersehen kann. Nicht nur, dass einem auf scheinbar jedem Quadratzentimeter das Wort „Konsum“ entgegengeschleudert wird, es ist auch die Armut und das Leid von offensichtlichem sozialen Abstieg, der hier auf den Straßen sichtbar wird. Ich sehe einen Mann, der ein Schild vor sich stehen hat und lese: I feel invinsible. Es ist kaum auszuhalten, wie sehr einem die Spirale zwischen arm und reich ins Gesicht springt. Aber so ist das: All diejenigen, die Städte wie New York am Laufen halten, die im Dienstleistungsgewerbe oder der Hotellerie, sind auch jene, die sich ein Leben hier aber nicht leisten können. Sie pendeln aus Queens oder der Bronx nach Manhatten, um dort zu arbeiten, wo sich das bunte Leben abspielt. Daran teilhaben aber können sie nicht. Und wer im großen Getriebe des Kapitalismus als gut funktionierendes Rädchen ausfällt, der fällt tief. Da gibt es kein soziales Netz, das dich auffängt. Es wundert mich also nicht, dass sämtliche wirklich unglaublich freundliche Mitarbeiter des Hotels südamerikanischer Abstammung sind, von der Reinigungskraft den Servicemitarbeitern, bis hin zu den asiatischen und mexikanischen Uberfahrern, die mich vom Flughafen und zurück befördern. Es ist eine Schande und es macht traurig.
Letzte Stunden im Vertrauen
Am frühen Morgen des letzten Tages laufe ich erneut die 42te Straße hinunter in Richtung Bryant Park, atme den Duft New Yorks tief ein (by the way meist ein Gemisch aus Abgasen und Marihuana) und bin einfach nur hier, in diesem einen Moment. Vier Stunden noch und es geht zum Flughafen, zurück ins normale Leben. Mein New York-Ich fühlt sich anders an: Lebendiger, freier, ja beschwingter. Ich nehme es mit, tief in mir drin und will es zu Hause abrufen, wann immer ich es brauche. Von nun an ist es tief in meinem Herzen verankert. Ich hatte keine Ahnung was es war, das mich mein halbes Leben lang von New York träumen ließ, aber ich denke es ist exakt das: Die Hoffnung darauf, eben dieses Gefühl zu leben. Was hatte ich eine Angst kurz vor der Reise, es könne sich alles als eine illusorische Projektion eines über Jahrzehnte medial verbreiteten Images herausstellen. Aber diese war mehr als unbegründet. Denn wenn ich eines sicher weiß dann: Diese Gefühle sind recht! Ich habe sie vier Tage lang inhaliert, präsenter, lebendiger und intensiver denn je. Vielleicht war es auch meine Selee, die so laut nach dieser Erfahrung gerufen hat, dass ich ihr Calling einfach nicht mehr ignorieren konnte. Und vielleicht fühlte ich mich auch gerade deshalb zu keinem Zeitpunkt fremd in dieser riesigen Metropole. Eher home away from home. Ganz nach dem Motto: Endlich bin ich (wieder) hier! Es ist ja durchaus nicht auszuschließen, dass ich in einem vorherigen Leben ums Eck des Bryant Parks gelebt habe. Möglich ist alles. Sicher ist aber vor allem: Es muss ein schönes Leben gewesen sein. Eines, im vollen Vertrauen und ganz bei mir selbst.
NYC, you got me!