#ThingsIlove: Flohmärkte

Wie ein Flohmarktbesuch in einer persönlichen Gesellschaftsfeldstudie endet.

Flohmärkte sind so eine Sache: Man liebt oder man hasst sie. Ich glaube dazwischen gibt es nichts. Ich gehöre definitiv zu ersteren, denn ich mag Stücke, die eine Geschichte erzählen. Das haucht ihnen Leben ein, verleiht Substanz. So besitze ich beispielsweise einen weinroten Lederdrehstuhl, der mich seit 20 Jahren durch mein Leben begleitet. Zig Umzüge und Lebensveränderungen hat er mit mir durchlebt und er steht bis heute brav vor meinem Schreibtisch.

Nun mache ich mich also an einem der letzten sonnigen und warmen Herbstsamstage nach längerer Zeit mal wieder auf Schatzsuche. Habe ich zumindest vor. Vor meinem inneren Auge sehe ich seit längerem einen ultracoolen, alten Rattanstuhl, den ich als neue Trophäe für meine Wohnung ergattern möchte. Nun habe ich gehört, dass es in Daglfing an der alten Trabrennbahn einen schönen Flohmarkt inklusive Antikmarkt gibt, für den sich ein Besuch lohnen soll: Also, nix wie hin!

Ausgangslage: Perfekt! Ich bin bester Laune, der Himmel ist an diesem vorletzten Oktobersamstag strahlend blau und ich mehr als motiviert. Als ich auf den Parkplatz fahre stelle ich mich bereits auf sehr viele Menschen um nicht zu sagen Menschenmassen ein. Kein Problem, ich kämpfe mich zum Eingang und stürze mich ins Getümmel, ohne zu ahnen, dass alles ganz anders kommt wie geplant…

Aus meiner ursprünglich geplanten Stuhlsuche wird nichts bzw. der Rattanstuhl, den ich kurz im Auge habe kostet 180 Euro. Ok, ein Designerstück aber das sprengt dann doch meinen Rahmen. Dass ich diesen Stuhl überhaupt entdecke, grenzt ohnehin an ein Wunder, denn ich bleibe bei meinem Gang durch das riesige Areal, weniger an Dingen hängen, als an den Menschen, die sie darbieten oder sich durch die Gänge quetschen. Zum Beispiel sehe ich eine Frau, vom Alter sicher im letzten Drittel ihres Lebens, die auf einer Decke vor sich alte Ausgaben der „Bild der Frau“ anbietet. Irritiert gehe ich weiter und stoße fasst mit einem „Kinderwagen“ zusammen, von welchem mich zwei Mini-Hündchen in Wollmäntelchen anstarren, stolz von Ihrer Besitzerin ausgeführt. Auch nehme ich überall diesen intensiven Geruch von „Speichern“ und muffiger Kleidung aus dem gefühlt letzten Jahrhundert wahr. Nachdem ich dann einen Stand erspähe, hinter welchem ein pink gekleidetes Kessler-Zwillings-Double (kennt die noch jemand?) mit pinken Täschchen und weißblond gefärbten, vermutlich mit Lockenwicklern in Form gebrachter Mähne, steht und mit pinken Nägeln ihre pinken Püppchen arrangiert, bin ich ohne es zu wollen mitten in einer meiner persönlichen Gesellschaftsfeldstudien angekommen. Ich sehe keine Dinge mehr, sondern nur noch die Menschen.

Ich ergebe mich meinem veränderten Blickwinkel und streife umher. Mich beschleicht immer weiter das Gefühl, dass gut 70% der Flohmarktbesucher hier, nicht wie ich nach Inspiration oder bestimmten Schätzen Ausschau hält. Ich glaube die Mehrheit ist hier, um Dinge zu kaufen, die wirklich benötigt werden. Oder andersherum: Alles verkaufen was nicht irgendwie benötigt wird, um mit noch ein paar zusätzlichen Euros die Haushaltskasse aufzubessern. Plötzlich wird mir auch bewusst, dass es nicht so wie früher, als ich mit meiner Mutter in den 90ern altes Kinderspielzeug oder herausgewachsene Kleidung verkauft habe und wir neben zig anderen Müttern das Hauptklientel darstellten, sondern dass der Durchschnittsflohmarktverkäufer bzw. -besucher deutlich älter geworden ist. Genauer gesagt im Rentenalter.

Altersarmut auf dem Vormarsch?

Ich spinne den Gedankengang um zwei weitere Aspekte weiter: Alterspyramide und Altersarmut. Beobachte ich hier etwa Szenarien, die einen Blick in die Zukunft vieler Rentnerinnen und Rentner zeichnen? Das Thema Altersarmut geistert oft durch die Presselandschaft, insbesondere wenn sich die Politik mal wieder zum Thema mögliche Grundrente streitet oder neue Studien veröffentlicht werden wie zuletzt des DIW Berlin im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, die einen „deutlichen Anstieg der Altersarmut“ prophezeit bzw. sei bis in 20 Jahren jeder 5. Rentner von Armut bedroht. Stelle finde ich gänzlich andere Aussagen, auch viel geringere Zahlen. Das bringt uns nicht weiter.

Ich vermute, dass diese unterschiedlichen Prognosen daran liegen, dass aktuell keiner wirklich abschätzen kann welches Ausmaß diese Entwicklung in den nächsten Jahren wirklich annehmen wird. Fakt ist jedenfalls, dass es heute für viele ältere Menschen bereits Realität ist, dass sie mit 150 Euro im Monat ihr Leben bestreiten müssen (nach Abzug von Fixkosten). Dass da für Kleidung und andere Dinge des Lebens nichts übrigbleibt, braucht man nicht vorzurechnen. Vermutlich reicht es nicht einmal fürs Essen. Mein Eindruck vom Flohmarkt verstärkt sich, je mehr ich mich damit beschäftige. Ich meine Winterkleidung bei derartigen finanziellen Verhältnissen neu zu kaufen ist schlicht und ergreifend unmöglich.

Ist Altersarmut weiblich?

Nach wie vor ist es leider auch so, dass sich viele Frauen in Deutschland, nachdem das erste Kind geboren ist, abhängig von Ihrem Partner machen. Auch in meinem Umfeld geht der Großteil zwar nach einem Jahr wieder arbeiten, jedoch im Schnitt meist zwischen 20 und 30 Stunden. Meine eigenen Beobachtungen deckt sich mit den Zahlen des statistsichen Bundesamtes, die im März diesen Jahres veröffentlicht wurden: Demnach war im Jahr 2017 fast jede zweite erwerbstätige Frau (47 %) in Teilzeit tätig. Unter den Männern betrug dieser Anteil nur 9 % (!). Wie groß die Rentenlücke ist wenn dieses Stundenkontingent so lange beibehalten wird, bis die Kinder aus dem Haus sind kann man sich vortstellen. Die Ursache liegt glaube ich unter anderem in der Gender-Pay-Gap: Bei diesem Thema sind wir in Deutschland von einem Zustand der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen so weit entfernt wie die Sonne vom Mond. Und so lange Frauen mit einem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von 17,09 Euro 21% weniger als Männer (21,60 Euro), ist es klar, dass auch die Männer weiterhin Hauptverdiener bleiben werden.

Noch Tage nach meinem Flohmarktbesuch beschäftigt mich dieses Thema. Ich finde die wichtigste Erkenntnis daraus ist, dass es gut ist, dass es Flohmärkte gibt. Noch wichtiger sind aber Anlaufstellen wie die Tafel oder die Caritas, bei welchen Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind aufgefangen und unterstützt werden. Un dass insbesondere Frau anfangen, sich rechtzeitig um eine private Absicherung zu bemühen, so dass wenn sie schon den Großteil der Kinderbetreuung übernehmen, das finanzielle Loch am Ende des Tages nicht ganz so groß ausfällt.

Mal abgesehen von der ganzen Rentendiskussion wäre es vermutlich von Staatsseite richtig, genau diese Einrichtungen stärker zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass sich gleicher Lohn für gleiche Arbeit immer weiter ausbreitet. Nur so kann das Thema Kinderbetreuung zu gleichen Teilen von Mann und Frau überhaupt ein Thema sein. Welches Paar kann es sich schon leisten auf gut 20% des Einkommens zu verzichten?

Ich für meinen kleinen Teil kann nur aufstehen und bei der Tafel helfen, das Essen zu verteilen. Ich bin in München dabei….Du auch?

https://www.muenchner-tafel.de/mach-mit

Quellen:

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/03/PD19_098_621.html

Altersarmut: Wie Petra von weniger als 800 Euro Rente lebt

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