Mütter und Töchter

Einst schrieb ich folgende Worte: Da saßen wir nun im Garten einer damaligen Freundin und aßen Törtchen. Ich fühlte mich dabei so fehl am Platz, als hätte man einen Blaubeermuffin in die Mitte all dieser Aprikosentörtchen gequetscht. Ich war natürlich der Muffin. Im Nachhinein bin ich sicher, dass auch sie keines der Törtchen war, nur habe ich das vor lauter „Sich-fehl-am-Platz-fühlen“ nicht gecheckt. Hätte ich mal genauer hingeschaut, hätte ich den Schokomuffin ganz rechts in der Ecke einfach entdecken müssen! Es dauerte nicht lange und die zwei Muffins wurden unzertrennlich. Heute wissen wir, dass es eine Schicksalsfreundschaft wurde. Eine Freundschaft, deren Fundament auf einer grundlegenden Übereinstimmung beruht: Unseren Müttern.

Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist besonders – besonders prägend. Es ist der Grundstein für alles, was wir sind und sein werden. Ist es gestört, belastet, zu nah, zu distanziert, zu übergriffig, zu alles, zu nichts, sind alle kommenden Beziehungen zu dir selbst und zu anderen oder zu niemandem genau dort in ihrer Weise entstanden, wie du sie führst oder eben nicht. Väter spielen natürlich auch eine Rolle aber die Mutter hat das Kind im Leib, gebärt und nährt es. Wirklich prägend wird der Vater aber erst ab dem Moment des Abnabelungsprozesses von der Mutter. In unserem Fall waren die Väter durch Scheidung oder emotionale Ausgrenzung ohnehin zur Nebenrolle degradiert. Die Geschichte nahm bei uns jedoch wie folgt ihren Lauf…

Zwei psychisch instabile bzw. traumatisierte Mütter bekommen je eine Tochter, deren Sinn und Zweck nur der eine ist – zu stabilisieren, zu unterstützen, aufzufangen, beste Freundin zu sein, vielleicht sogar Partnerersatz. In einem Wort: Die Tochter wird für das eigene Wohlergehen instrumentalisiert. Die Töchter verbünden sich in ihrer Not weil sie damals weder wissen noch verstehen was diese gestörte Beziehung für einen nachhaltigen Einfluss auf ihr gesamtes Leben haben sollte. Und so gehen, nein fliehen sie nach dem Abitur in die Welt hinaus, in der Hoffnung, alles hinter sich zu lassen und ihr eigenes Leben zu leben. Doch was folgt ist eine Farce, eine Schablone, ein von ungesunden Mustern geprägtes Dasein, das oberflächlich ganz ok erscheint, im Innern aber einem authentischen, wahrhaftigen Dasein und gänzlicher innerer Freiheit entbehrt. Beziehungsunfähig in den 20ern weil die Verstrickung zu den Müttern ungelöst im Innern schwelt, entwickeln beide ihre eigenen Symptome. Ängste und chronische Magenprobleme die eine, sowie depressive Erschöpfungsphasen die andere.

Wie wir waren

Echte Beziehungen waren lange schwierig oder gar nicht möglich. Warum? Weil man in Beziehungen echte Nähe zulassen bzw. ein gesundes Nähe-Distanzverhältnis benötigt und noch wichtiger, seine Bedürfnisse äußern können sollte. Ansonsten hängt man in einer Abhängigkeit oder zumindest in einer beziehungsmäßigen Schieflage, in welcher der eine mehr gibt als der andere. Meine Freundin ist erstmal in die Vermeidung, ich habe mein Verhältnis zur Mutter 1 zu 1 wiederholt: Bedürnisse auf Null und den anderen stabilisieren. Dass das auf Dauer nicht das ist was man möchte, kann sich jeder vorstellen. Beruflich wählte die eine, was sie am besten konnte: Menschen helfen und zuhören als Sozialpädagogin. Die andere im Modus Funktionieren bis der Arzt kommt. Erst in ausbeuterischen Verhältnissen, später zwar besser bezahlt aber ohne die Fähigkeit echte Grenzen zu spüren oder zu setzen. Das Problem an der Sache ist, dass man lange nicht kapiert, dass man nicht seiner wahren Persönlichkeit entsprechend handelt, weil sich alles was man tut richtig, da gewohnt und immer so gemacht, anfühlt. Deshalb machen die meisten Menschen, uns eingeschlossen, so lange im falschen Modus weiter, bis der Körper zusammenklappt und das ganze System schreit. Ist menschlich keine Frage. Kostet aber im Zweifel viele Jahre, in denen man im Nachhinein das Gefühl hat, nicht richtig gelebt zu haben. Das fühlt sich ziemlich scheiße an, man braucht es nicht leugnen. Sich davon frei zu machen dauert lange.

Der Cut

Was haben wir uns abgestrampelt, geredet, geweint und geschrien, um Verständnis gebettelt und auf echte Weiterentwicklung gehofft um eine Klärung und Auflösung in der Beziehungsverstrickung herbeizuführen. Es war vergebene Liebesmüh. Es war ein Energieaufwand, mit dem man vermutlich einmal um den kompletten Erdball laufen könnte, wenn es nur reicht. Energie, die man einfach zum Fenster hinauskippt, so wie Geldscheine aus dem Fenster zu werfen. Reine Verschwendung. Denn am Ende des Tages unterscheidet unsere Mütter und uns ein essenzieller Fakt: Die einen wählen Verdrängung, die anderen gehen den Weg der Aufarbeitung und Weiterentwicklung. Denn unser Ziel ist klar: Ein Leben, das dem wahren Kern, dem wahren Wesen entspricht. Beziehungen, die auf Augenhöhe und nicht auf Abhängigkeiten basieren und ein Leben, das mit innerer Freiheit und echter Lebensqualität möglich ist. Der erst räumliche, dann emotionale Cut war also im Grunde unvermeidlich. Eine Beziehung an der Oberfläche die einzige mögliche Form des Kontakts.

Wie wir sind

Unsere Leben haben sich zwar in unterschiedliche Richtungen entwickelt aber heute mit bald Ende 30 bemerken wir wieder, dass uns eine Übereinstimmung eint: Was die Prägung mit uns gemacht hat und wohin sie uns heute treibt. Die eine ist bereits dabei sich endlich vollkommen selbst zu verwirklichen, die andere kämpft noch an der Schwelle dahin. Die innere Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben, den eigenen, den wahren Interessen enstprechend zu gestalten und zu leben. Das führt dazu, dass man mit 37 noch einmal studieren geht oder nach über 10 Jahren endlich wieder schreibt und sich nach Berufung sehnt. In Summe jedoch unaufhörlich danach strebt sein wahres Selbst nach Außen zu kehren. Was übrigens ein niemals endendener und teilweise sehr anstrengender Prozess ist. Ach ja: Beziehungen auf Augenhöhe. Alle anderen lassen wir gehen oder gehen wir gar nicht erst ein. Ich weiß jetzt, dass es möglich ist, denn eine von uns hat es geschafft! Besser geht nicht und macht mich stolz und glücklich.

Wohin wir möchten

Just in diesen Tagen haben wir uns mal wieder zum Status Quo ausgetauscht und dabei ist eines klar geworden: Es wird besser aber es hört nie auf. Wie sagte sie so schön: „Es ist eine tägliche Achtsamkeitsübung bei sich zu sein.“ Sich in Situationen und bei Entscheidungen nicht selbst zu verlieren, sondern hinzuhören und hinzuspüren, was der wahre Kern in einem möchte. Auch bei mir ist dieser Bei-Mir-Selbst-Sein Modus nach wie vor so fragil, dass ich permanent wie auf Eierschalen tänzle um nicht auszurutschen und emotional in die Vergangenheit zu fallen. Die größtmögliche Authentizität im Sein und im Handeln ist eine Form von wahrem Glück. Alles andere kommt danach. Und auch wenn wir vermutlich so, wie wir heute auf unser 20-Jähriges Ich zurückblicken und ihm wie eine Souffleuse den wahren Text unseres Lebens zuflüstern möchten, so wird unser 50-Jähriges Ich das gleiche über unser heutiges denken. Weil wir in 10 Jahren wieder eine erweiterte Perspektive, einen noch größeren Erfahrungsschatz und viele weitere Erkenntnisse gesammelt haben, auf die wir dann zurückgreifen können. Der Schatz, das Potenzial, die innere Wahrheit werden größer, stärker und immer mehr gelebt, während die Prägung und die Muster immer da sein werden aber mit den Jahren hoffentlich den Einfluss auf den Mensch, der wir wahrhaftig sind, mehr und mehr verlieren.

Dieser Text ist für dich M.

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